28/11/2022

Sinnsuche im Advent

"Heute ist die Adventszeit in Deutschland eine vorgezogene Weihnachtszeit. Da gibt es Weihnachtsmärkte, in denen schon eine Woche vor Beginn des Advents ständig Weihnachtslieder gespielt werden. Die vorgezogene Weihnachtszeit hindert uns daran, Weihnachten angemessen als Fest zu feiern. Mir ist es ein Anliegen, die ursprüngliche Bedeutung des Advents als Zeit der Stille, des Wartens und des Wachens wieder bewusst und seine heilende Wirkung neu erfahrbar zu machen."

Anselm Grün: Dein Licht schenkt uns Hoffnung (Vier Türme, 2020)

Der Advent als Zeit der Stille mit heilender Wirkung? Schön wär's! Angeblich sehnen sich ja viele Menschen nach Besinnung und Ruhe, stattdessen ist aber noch hektischere Betriebsamkeit angesagt, Geschenke kaufen, Glühwein trinken und, nicht zu vergessen, die immer üppiger werdenden Adventskalender. Dementsprechend wird dann auch Weihnachten eine weitgehend sinnentleerte Abfolge von zu viel Essen, zu vielen Besuchen, zu vielen Geschenken und gespielter Harmonie (davon auch zu viel). So richtig will das niemand. Aber mangels Alternativen macht man halt das Althergebrachte, auch wenn einem vieles davon eigentlich von der Werbung eingeflüstert wurde.

Wer mit Religion etwas anfangen kann, hat es vermutlich leichter, weil es da Alternativen gibt. Beispielsweise zu finden bei Anselm Grün (siehe oben) oder im Essener Adventskalender, der vom 1. Advent bis Dreikönig jeden Tag Geschichten, Lieder, Rezepte, Bastelanleitungen und natürlich reichlich Religiöses für Familien mit Kindern bereithält. Als ich klein war, hieß der Kalender noch 'Wir sagen Euch an: Advent' und ich habe ihn geliebt (wegen der Bastelanleitungen, Geschichten und Rezepte).

Aber auch nicht-religiöse Menschen wollen die Adventszeit sinnvoll gestalten (Stichwort: Besinnung und Ruhe). Eine eventuelle heilende Wirkung zu spüren wäre auch nicht verkehrt in diesen Zeiten. Auf der Sinnsuche, beim Nachdenken über Advent und Weihnachten, ist mir als erstes aufgefallen, dass es im Hinduismus und Judentum ganz ähnliche Feste gibt (Diwali und Chanukka). Wahrscheinlich ist da ein menschliches Grundbedürfnis nach Licht, Wärme und Geborgenheit in der dunklen und meist kalten Jahreszeit, das nicht an eine bestimmte Religion gebunden ist. Auch ist immer eine Gemeinschaft wichtig, ein Festessen und besondere Speisen, die es nur dann gibt. Im Christentum wird zudem über vier Wochen richtig auf die Festlichkeiten hingearbeitet: Jede Woche wird eine Kerze mehr auf dem Adventskranz angezündet. Es wird umso heller und wärmer, je kürzer und dunkler die Tage werden. Und auf den kürzesten Tag folgt das große Lichterfest.

Ich denke, mit einem Fokus auf Licht und Wärme (wortwörtlich und im übertragenen Sinn) stellt sich die ersehnte Besinnung und Ruhe schon eher ein. Auf jeden Fall tut das der Seele gut und ist genau richtig bei Kälte und Dunkelheit. Kitschig wird es erst, wenn Sinn und Maß verlorengegangen sind.

Aber finden Sie für sich selbst heraus, wonach Sie sich wirklich sehnen. Ob Après-Ski-Gaudi auf dem Glühweinmarkt oder still vor einer Kerze sitzen - Hauptsache, Sie verspüren einen Sinn dabei und idealerweise eine heilende Wirkung.

Kranz aus filzbezogener Pappe mit grün- und rotkarierten Streichholzschachteln, künstlichen Tannenzweigen, Deko-Äpfeln und Kiefernzapfen
Grafik mit verschiedenen Wörtern mit Adventsbezug zum Ausschneiden, z.B. Stille, Musik, Luzia, Nikolaus, Wintersonnenwende

Hier sehen Sie meinen Adventskalender. Es ist ein Modell aus den Siebziger Jahren mit Streichholzschachteln für den 6. bis 24. Dezember. Da in die kleinen Schachteln kaum etwas hineinpasst, habe ich sie in diesem Jahr mit Adventswörtern gefüllt. Das sind Wörter mit Adventsbezug (größtenteils gesehen im Großen Buch der Weihnacht), die man als Ideengeber nutzen kann oder als Anregung zum Nachdenken über eine persönlich sinnvolle Advents- und Weihnachtszeit.

Für jüngere sinnsuchende Menschen ab 8 Jahren kann ich übrigens Die Schule der Weihnachtsmänner, ein Hörspiel von Karlheinz Koinegg, empfehlen. Da geht es um ganz ähnliche Fragen, verpackt in eine spannende Geschichte mit Charakteren von Heute.

Ich freue mich über Kommentare an ateliergry@gmail.com.