31/10/2022

Von hier nach dort

Am Rheinufer in Koblenz-Pfaffendorf: Weißgestrichene Mauer mit dem Pfaffendorfer Wappen, dem Schriftzug 'Pfaffendorf' und der Darstellung eines Schiffes, das von zwei Pferden stromaufwärts gezogen wird.

Atelier Gry zieht um!

"Ich bin in den Wald gegangen, weil ich bewusst leben wollte, nur das Wesentliche des Lebens vor Augen haben wollte, um zu sehen, ob ich nicht lernen kann, was es zu lehren hat, und nicht, wenn ich sterbe, feststellen muss, dass ich nicht gelebt habe."

Das ist das wohl berühmteste Zitat aus Henry David Thoreaus Buch Walden; or, Life in the Woods (zu deutsch Leben in den Wäldern oder auch Hüttenleben im Walde genannt). Neben der Schilderung seiner zwei Jahre im Wald schreibt Thoreau im ersten Kapitel auch darüber, dass es den Mitgliedern der Arbeiterklasse viel besser gehen würde, wenn sie in einer einfachen Hütte wohnen würden, die sie selbst gebaut haben und die ihnen gehört, als sich kaputtzuschuften, um die Miete bezahlen zu können.

Der Gedanke ist bei mir hängengeblieben. Denn heutzutage ist es nicht mehr nur für die Mitglieder der Arbeiterklasse schwierig, die Miete zu bezahlen. Und der bei viel zu vielen Vermietern beliebte Goldesel Airbnb macht die Sache auch nicht einfacher.

Nun darf man in Deutschland aber gar nicht eine Hütte in den Wald bauen und dort wohnen. Einerseits schade, andererseits ganz gut so. Stellen Sie sich mal einen Wald vor mit einer Hütte auf jeder freien Fläche. Und an den Wochenenden vor jeder Hütte ein Jeep und kernige Kerle, die am Weber-Grill ihre Steaks zubereiten, das Craft Beer in der Hand. Oder ist das etwa nur ein Vorurteil??

Und was hat das mit meinem geplanten Umzug zu tun? Nun, ich lebe gern in Pfaffendorf, aber ich wohne hier zur Miete. In anderen Worten: Ein Großteil meines Geldes verschwindet jeden Monat auf Nimmerwiedersehen. Also habe ich ein Grundstück gesucht, auf dem ich meine Hütte bauen kann. Wer sich mit der deutschen Baugesetzgebung beschäftigt, korrigiert die 'Hütte' allerdings schnell in Richtung kleines oder kleinstes Haus. Auch das muss man erst mal genehmigt bekommen. Und wenn es für den Rest des Lebens halten soll, überlässt man das Bauen besser auch den Profis. Und wenn man nicht später von hohen Energie- und Nebenkosten in die Altersarmut getrieben werden will, sollte das Kleinsthaus Photovoltaik auf dem Dach haben. Und eine Trockentrenntoilette im Bad zum Wassersparen. Wer nun, das Wesentliche des Lebens vor Augen, noch nicht aufgegeben hat, kann mit Grauwasserwiederaufbereitung und einer Regenwasserzisterne weitermachen, denn die nächste Dürre kommt bestimmt. Ach, zu Thoreaus Zeiten war das irgendwie einfacher …

Apropos Thoreau: Der hat damals auch nicht wild gecampt, sondern seine Hütte auf dem Waldgrundstück von Ralph Waldo Emerson gebaut, der ihm das erlaubt hatte. So etwas Ähnliches habe ich auch vor. Zunächst geht es Ende Januar 2023 raus aus der Mietwohnung und rein in eine bisher ungenutzte Einliegerwohnung, die zumindest teilweise mir gehören und zum Wohnen und Arbeiten dienen wird. Die Werkstattkatze kommt selbstverständlich mit! Dann folgt hoffentlich bald der Bau meiner eigenen Hütte – Verzeihung: Kleinsthaus –, nicht in den Wäldern, sondern auf einer ehemaligen Pferdekoppel.

"Ich bin in den Wald auf's Land gegangen, weil ich bewusst leben wollte, nur das Wesentliche des Lebens vor Augen haben wollte, um zu sehen, ob ich nicht lernen kann, was es zu lehren hat, und nicht, wenn ich sterbe, feststellen muss, dass ich nicht gelebt habe."

Na denn!

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ateliergry@gmail.com.

17/10/2022

Herbstlaub, Laterne und Fenstersterne

In der Küche stehen Äpfel, Nüsse und Kürbisse. Draußen färben sich die Bäume golden und der Himmel grau. Auch wenn wir heute einen warmen sonnigen Tag haben, die dunkle und kalte Zeit des Jahres beginnt schon. Und mit ihr auch die traditionelle Zeit des Bastelns. Ich bin zwar eine Kunsthandwerkerin, aber Basteln mag ich auch. Am besten mit einfachen Materialien, die man schon im Haus hat oder die leicht zu besorgen sind, wie Tonpapier und Transparentpapier.

Fenster mit blauem und rotem Stern aus Transparentpapier an der Scheibe. Darunter auf der Fensterbank eine Papierlaterne mit brennendem Teelicht, umgeben von buntem Herbstlaub aus Papier.

Erinnern Sie sich noch an die Fenstersterne, die ich im Januar vorgestellt habe? Der Oktober ist eine gute Zeit, um sich für die kommende Saison mit Fenstersternen einzudecken oder den Bestand zu ergänzen. Je nach Wetter wird es doch irgendwann im November so trüb und grau, dass die Menschenseele nach Farben und Licht verlangt. Dann schlägt die Stunde der Fenstersterne. Und Licht? Da nun allerorten Energie gespart werden muss, wie wäre es mit Kerzen und Teelichtern? Die kosten nicht viel, brauchen weder Strom noch Batterien, machen ein behagliches Licht und wer will kann sie auch aus nachhaltiger deutscher Produktion bekommen. Bei mir brennt ein Biokema-Teelicht in einem alten Aufstrichglas, und die filigrane Laterne drumherum, die ein faszinierendes Licht- und Schattenspiel erzeugt, ist aus schwarzem Tonpapier. Für ein paar saisonale Farbtupfer sorgt buntes Herbstlaub, das man – Sie haben es erraten – auch aus Tonpapierresten selber basteln kann. Dieses Laub bleibt bis zum Vorabend des ersten Advents liegen, Laubsaugen verboten!

Gefunden habe ich all diese Schätze auf den Bastelblogseiten der äußerst talentierten Nadia Bitter Stoll. Dort gibt es Anleitungen für Fenstersterne, Laternen und Herbstlaub. Wer noch mehr Fenstersterne sehen will, wird hier fündig: Fenstersterne II, Fensterstern Sunny, grüner Fensterstern, hellblauer Fensterstern, und schließlich Fensterstern Clarissa.

Noch ein Tipp zu den Teelichtern: Lichter aus Biomasse wie die Biokema-Teelichter tendieren dazu, den Docht 'ertrinken' zu lassen, so dass die Flamme nicht gut brennt. Damit das nicht passiert, vor dem Anzünden den Doch mit seinem Metallhalter unten herausziehen, oben wieder hineinstecken, festdrücken und das Teelicht umdrehen. Hier wird gezeigt, wie es geht.

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03/10/2022

Buchbinder Buzzword Bingo

Jetzt naht sie wieder, die Zeit der Kunsthandwerker- und Weihnachtsmärkte! Die meisten Marktbesucher sind ja ausgesprochen freundlich und angenehm. Allerdings gibt es auch andere. Und da fallen dann auch mal Kommentare, die man als Buchbinder nicht gerne hört. Natürlich ist es Geschmackssache, ob einem etwas gefällt, aber mir scheint viele Menschen kennen keinen Unterschied mehr zwischen Massenware und Unikaten, zwischen Basteln und Kunsthandwerk. Manchen mangelt es auch schlicht an Takt. Man kann darüber lachen oder weinen – das Lachen gefällt mir dabei irgendwie besser. Und nachdem ich vor Jahren schon einmal erfolgreich jemanden zum Strichliste-Führen angestiftet habe (damals haben wir das Kompliment "Hier riecht's aber gut!" an einem Seifenstand gezählt), wage ich nun etwas Größeres und stelle ein ganzes Buchbinder Buzzword Bingo vor. Das eignet sich mit kleinen Abänderungen auch für andere Kunsthandwerker.

Das Bingo-Spiel sorgt auf Märkten für die manchmal nötige Erheiterung manchmal frustrierter Verkäufer. Man kann es allein oder zu mehreren spielen. Spielen mehrere am gleichen Stand und hören somit dasselbe, braucht jeder eine eigene Karte mit den Kommentaren in unterschiedlicher Reihenfolge. Und das sind die Spielregeln:

Variante 1: Jeder Spieler erhält eine Bingo-Karte. Wenn ein entsprechender Kommentar fällt, wird er auf der Karte markiert. Wer als erster eine waagerechte, senkrechte oder diagonale Reihe von Markierungen hat, ruft "Bingo!" und gewinnt einen vorher vereinbarten Preis.
Variante 2: Wie Variante 1, aber zusätzlich können die Spieler bestimmte Muster vereinbaren, wie z.B. alle Ecken und die Mitte.
Variante 3: Im Gegensatz zu den beiden ersten klassischen Varianten werden hier den ganzen Markttag über für die einzelnen Kommentare Strichlisten geführt. Wer am Ende die meisten hat, gewinnt. Man kann auch vereinbaren, dass bestimmte 'schwerwiegende' Kommentare doppelt oder dreifach zählen. Wer etwas Neues hört, das würdig ist, in das Buzzword Bingo aufgenommen zu werden, erhält Extrapunkte.
Corona-Variante für abgesagte Märkte: Jeder Spieler erhält kontaktlos eine Karte und denkt sich möglichst charmante und/oder schlagfertige Erwiderungen auf die Kommentare aus. Die besten Einfälle gewinnen!

Buzzword-Bingo-Karte mit 25 Kommentaren, die Buchbinder nicht gerne hören

Und was, wenn Sie ein Marktbesucher sind, der sich jetzt ertappt fühlt und dieses Bingo-Spiel überhaupt nicht lustig findet? Lachen Sie trotzdem darüber! Jeder und jede hat schon einmal etwas Unpassendes oder Dummes gesagt, das ist einfach menschlich. Mein Bingo-Spiel dient nicht dazu, jemanden vorzuführen, sondern soll helfen, möglicherweise gut gemeinte aber ungeschickte Bemerkungen mit Humor zu nehmen. Wenn Sie nicht wissen, was Sie zu den Ausstellern sagen sollen: Sie müssen nichts sagen, ein freundliches Nicken reicht vollkommen. Und wenn Sie vermuten, dass die unter dem Tisch Bingo spielen oder Strichlisten führen, lächeln Sie ihnen verschmitzt zu!

Noch eine Anmerkung: Keiner der Kommentare auf der Bingo-Karte ist erfunden. Das meiste wurde auf Märkten entweder zu mir direkt oder in meiner Hörweite über meine Arbeiten gesagt. Ein paar Bemerkungen stammen auch von Bekannten und erweiterter Familie. Ein Kommentar stammt von einem Besucher der Galerie Handwerk und bezog sich auf andere Arbeiten als meine; drei wurden zu anderen Kunsthandwerkerinnen gesagt.

Vielleicht werde ich jetzt als Unruhestifterin nie wieder zu Märkten eingeladen?

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