25/09/2023

Nichts Besseres zu tun

Ein Essay

Dann und wann begegne ich Menschen, denen die – zumeist unausgesprochen bleibende – Frage auf der Stirn steht: "Warum gehst Du nicht arbeiten?". Eine berechtigte Frage. Kurioserweise haben diese Frager immer selbst eine Arbeit, die sie nicht wirklich gern machen und bei der sie Tätigkeiten ausüben, die jeder beliebige andere Mensch (oder demnächst vielleicht Künstliche Intelligenz) ebenso gut ausführen könnte – womit sie dann aus gutem Grund in ständiger Sorge leben, redundant gemacht zu werden. Das ist in sich selbst schon eine Antwort.

Eine andere – und viel wichtigere – Antwort ist: Weil ich nichts anderes kann und will als Buchbinden. Es ist das Lohnenswerteste, das ich mir vorstellen kann und ich habe buchstäblich nichts Besseres zu tun. Eine andere Buchbinderin hat mir einmal erzählt, dass sie sich bei ihrem ersten Besuch in einer Buchbinderwerkstatt gefühlt hat, als höre sie die Engel singen. Bei mir lacht das Herz, wenn ich schöne Bücher, Schachteln oder Faltarbeiten sehe. Der Kopf will wissen, wie es gemacht wurde und die Hände wollen es nachmachen und weiterentwickeln. Das Schönste ist aber, wenn ein Werkstück, das man bisher nur vor dem inneren Auge gesehen hat, Form annimmt und noch viel besser aussieht, als man sich das vorgestellt hat.

Es hat auch viel mit Glauben zu tun; das heißt, wovon ich glaube, dass es eine sinnvolle Verwendung meiner Lebenszeit ist. In der Galerie Handwerk Koblenz gab es dazu in der ersten Jahreshälfte eine Ausstellung namens CREDO – Warum wir tun, was wir tun, kuratiert von der mir persönlich bekannten und sehr geschätzten Karin Bille, bin ich doch eine von 'ihren' Kunsthandwerkerinnen. Leider war ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr in Koblenz und konnte nicht persönlich hingehen, aber im dazugehörigen Pressetext gewinnt man einen Eindruck. Leider ohne Beispiele für die genauen Antworten, die die 17 Spitzenhandwerker gegeben haben.

Stellvertretend hören wir die Antwort der Papierkünstlerin, Buchbinderin und Schachtel-Gestalterin Corinna Weinheimer-Erith. Sie lebt in der Bretagne und war daher nicht Teil der Koblenzer Ausstellung, wäre aber meiner Meinung nach mehr als würdig, unter den Spitzenhandwerkern genannt zu werden: "Was mich zum Schaffen anspornt [ist] die Freude an der Arbeit mit edlen, angenehmen Materialien [...] und einfachen, schönen und sehr zweckmäßigen Werkzeugen. Es ist auch die Freude daran, allein oder im Gespräch mit dem Kunden Herstellungslösungen zu suchen und zu finden, neue Dinge auszuprobieren – und meistens ist auch das Ergebnis ein Freude." (Danke an DeepL für die Hilfe bei der Übersetzung aus dem Französischen.)

Da die nächste Winterausstellung in der Galerie Handwerk Koblenz naht (und bei den gezeigten "Objekten der Spitzenklasse" meine dabei sind), habe ich mich an die Produktion frischer Lesezeichen und Reise-Engel gemacht. Und da ich gerade am Nachdenken war, habe ich mir auch hier die Frage gestellt: Warum eigentlich?

Drei Lesezeichen von Atelier Gry in den Ausführungen Wellen, Zickzack und Wintergarten.

Die elegante Form der Lesezeichen mit zwei Spitzen, die reiche Textur und die schönen Farben des Bezugspapiers, die mit dem Papier farblich harmonisierende Quaste, all das vermittelt Freude beim Betrachten und verweist auf die Freude am Lesen: Das ästhetische Empfinden spiegelt das ästhetische Empfinden beim Lesen eines guten Buches.

Drei Engel aus Papier zum Aufhängen auf schwarzer, goldgesprenkelter Trägerkarte (Trio 1).

Die Engel sind so voller Freude. Es macht Freude, sie herzustellen. Es macht Freude, sie zu betrachten. Gewiss macht es auch Freude, sie per Post zu erhalten. Wie es sich für Engel gehört, verbreiten sie positive Energien und zaubern Lächeln auf Gesichter. Fürchtet Euch nicht! Ein beglückendes Gefühl.

Und deshalb habe ich nichts Besseres zu tun!

Ich freue mich über Kommentare an ateliergry@gmail.com.

11/09/2023

Die Kraniche des September

Jetzt sind die Ferien auch hier in Baden-Württemberg vorbei, aber die Kraniche sonnen sich noch im goldenen Septemberlicht auf der Blauen Passionsblume, weil es im ganzen großen Garten hier keine einzige Chrysantheme gibt.

Vier Origami-Kraniche mit Hanafuda-Muster für den Monat September auf einer blühenden Blauen Passionsblume (Passiflora caerulea)
Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat September: Chrysantheme
Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat September: Chrysantheme
Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat September: Chrysantheme mit blauem Papierstreifen

Von links nach rechts: Zwei Kraniche mit Chrysanthemen und ein Kranich mit Chrysanthemen und einem blauen Papierstreifen.
Unten: Ein Kranich mit Chrysanthemen und rotem Sake-Becher. Darauf steht kotobuki, was 'langes Leben' bedeutet. Sake wird traditionellerweise im Winter gebraut und ist im frühen Frühjahr trinkfertig. Man kann Sake aber auch den Sommer über reifen lassen und ihn im September ausliefern, sobald die Sommerhitze vorbei ist.

Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat September: Chrysanthemen und Sake-Becher

Bei unseren europäischen Nachbarn und teilweise auch in Deutschland ist die Chrysantheme die typische Friedhofsblume – wahrscheinlich weil früher um Allerheiligen die Auswahl an blühenden Blumen doch recht eingeschränkt war. In China kultiviert man schon seit dem 15. Jahrhundert v. Chr. Chrysanthemen, und von dort sind sie auch nach Japan gekommen. Ab dem 8. Jahrhundert wurden sie dort kultiviert, inklusive einer Züchtung mit riesigen Blüten von über 20 cm Durchmesser. In Japan gibt es einen Chrysanthemen-Tag, Chrysanthemen-Ausstellungen, Gedichte über Chrysanthemen und viele Chrysanthemen-Feste im Herbst. Und natürlich gibt es das Wappen der Kaiserfamilie, das seit dem 12. Jahrhundert eine stilisierte Chrysantheme zeigt. 'Chrysanthementhron' kann entweder den tatsächlichen Thron des japanischen Kaisers meinen oder als Synonym für den Kaiser oder die japanische Monarchie verwendet werden.

Im japanischen Kunsthandwerk sind Chrysanthemen ein beliebtes Motiv und dekorieren Dinge wie Porzellan, Lackarbeiten, Stoff oder Papier, die im Herbst Verwendung finden sollen, denn in Japan ist Chrysantheme = Herbst.

Zum Schluss noch ein lustiger britischer Zungenverknoter. Versuchen Sie einmal, das laut vorzulesen:

You may pass paths lined with hyacinths and chrysanthemums.

Ich freue mich über Kommentare an ateliergry@gmail.com.