06/11/2023

Die Kraniche des November

Im November weichen die Kraniche ab von ihrem üblichen Hanafuda-Muster von zweimal nur die Pflanze des Monats, einmal mit buntem Papierstreifen und einmal mit einem Tier oder Etwas, das den Monat symbolisiert.

Vier Origami-Kraniche mit Hanafuda-Muster für den Monat November auf einer Korkenzieher-Weide

Die Pflanze des Monats November ist die Weide. Passend zum gerade gewesenen Allerseelen ist die Weide mit Geistern verbunden. In Japan sagt man, dass Geister dort erscheinen, wo eine Weide steht. (Damit hätten die Werkstattkatze und ich beste Aussichten, einen Geist zu sehen, da vor und hinter unserem Haus jeweils eine Weide steht!) Diese Assoziation kommt wahrscheinlich daher, dass im Shintoismus Wasser eine Verbindung zur Unterwelt, also zum Reich der Toten, darstellt. Das sieht man auch an dem Brauch, am Ende des japanischen Fests für die Seelen der Ahnen Laternen auf dem Wasser schwimmen zu lassen, die die Seelen zurück ins Totenreich geleiten sollen. Und typischerweise wachsen auch in Japan stets die Weiden neben dem Wasser.

Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat November: Ono no Michikaze und der Frosch

Das Tier, das den November symbolisiert, ist diesmal ein Mensch. Der Herr unter dem Regenschirm ist der japanische Kalligraph Ono no Michikaze (wobei Ono der Familienname ist). Dieser geht an einem Fluss spazieren und sieht (auf dem anderen Kranichflügel) einen Frosch, der auf einen Baum springen will, der zwar aussieht wie eine Palme, aber eine Weide darstellen soll. Das illustriert folgende Legende:

Als Ono no Michikaze, der von 894 bis 966 gelebt hat, einmal wieder mit einer seiner Kalligraphien unzufrieden war, machte er einen Spaziergang im Regen. Dabei sah er, wie ein Frosch immer wieder versuchte, auf den herabhängenden Zweig einer Trauerweide zu springen, der aber zu hoch für ihn war. "Dummer Frosch", dachte Michikaze. "Du wirst nie hoch genug springen können, um den Zweig zu erreichen, egal wie oft du es versuchst." Kaum hatte er dies gedacht, kam ein Windstoß, der die Trauerweide so weit herunterbog, dass der Frosch aufspringen konnte. Michikaze war verblüfft: "Aber ich bin ja der Dumme! Der Frosch hat entschlossen auf seine Chance hingearbeitet und sie genutzt, als sie sich ihm geboten hat. Ich aber habe bisher noch nie so fleißig und gewissenhaft gearbeitet wie er!"

Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat November: Weide und Rauchschwalbe

Es gibt auch einen Kranich, auf dem die Weide mit einer Rauchschwalbe gepaart ist. Für unser Verständnis gehören Schwalben in den Sommer, und was diese Schwalbe im November zu suchen hat, ist nicht ganz klar. Schwalben sind in Japan sehr häufig und berüchtigt dafür, den Menschen auf die Köpfe zu machen (das übernehmen hier bei uns die Spatzen, die auch überhaupt keinen Respekt vor der Werkstattkatze haben). Aber die monogamen Schwalben sind auch Glücksbringer und stehen für eheliche Treue. Und hier ergibt sich vielleicht eine Verbindung zu den Weiden.

Es gibt in Japan mehrere Volkssagen über weibliche Weiden-Geister (also Naturgeister im Gegensatz zu den Geistern der Verstorbenen in Spukgeschichten), die sich mit Männern verheiraten und glücklich mit ihnen zusammenleben, bis ihr jeweiliger Baum gefällt wird. Die Männer haben erstaunlicherweise bis zum Verschwinden ihrer Gattin überhaupt keine Ahnung, dass sie mit einem Geist verheiratet sind! Wenn Sie so etwas interessiert, können Sie hier die Sage von Green Willow auf Englisch nachlesen.

Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat November: Weide und roter Papierstreifen
Origami-Kranich mit Hanafuda-Muster für den Monat November: Gewitter mit Regen, Kralle und Trommel

Nach dem Kranich mit dem schon vertrauten roten Papierstreifen, der von einer Weide hängt, kommt einer, auf dem überhaupt keine Weiden zu sehen sind. Was wir hier sehen, ist ein heftiges Gewitter, wobei die Weiden wohl hinter dem dichten Regenvorhang verschwunden sind. Auf dem einen Kranichflügel kommt eine riesige Vogelkralle vom Himmel, um auf eine Trommel auf dem anderen Kranichflügel zu schlagen. Das ist ein Verweis auf den shintoistischen Donnergott Raijin, der für gewöhnlich umgeben von mehreren Taiko-Trommeln dargestellt wird, auf die er schlägt. Diese Trommeln sind mit einem Muster aus drei Komma-ähnlichen Elementen geschmückt, genannt mitsudomoe, genau wie hier.

So, das war eine ganze Menge Japanologie für einen Monat!

Ich freue mich über Kommentare an ateliergry@gmail.com.