Beim Bayerischen Kunstgewerbeverein in München ist gerade eine Ausstellung zu Ende gegangen, in der anhand von zwanzig Beispielen der manchmal "kurvenreiche" Weg ins Kunsthandwerk gezeigt wurde. Warum der Weg bei manchen kurvenreich ist – ja, eigentlich zwingend sein muss –, wird gleich zu Anfang klar:
"Höre auf deinen Bauch", so rät eine erfolgreiche Kunsthandwerkerin für die Entscheidung bei der Berufswahl.
Als ich das gelesen habe, musste ich erst einmal lachen. Mein Bauch will nämlich regelmäßig etwas zu Essen und sagt deshalb eigentlich Nein zum Kunsthandwerk. (Falls Sie das nicht nachvollziehen können: Auf Grund von Erfahrungsberichten kann man sagen, dass nur bei einem geringen Anteil der Kunsthandwerker die Einkünfte aus der eigenen Arbeit auch zum Leben reichen. In Ermangelung eines Grundeinkommens benötigen die meisten daher irgendwelche zusätzlichen Einnahmequellen, damit regelmäßig Essen auf dem Tisch steht. Das kann einen schon abschrecken.)
Nun ist aber gerade das Kunsthandwerk ein Beruf mit Berufung. In anderen Worten: Niemand, der noch ganz bei Trost ist, macht das einfach so. Man muss es wollen. Was einen antreibt, ist der Schaffensdrang (oder der Betrieb der Eltern, der übernommen werden will, aber auch da geht’s nicht ohne eigene Motivation). Mit einer solchen Berufung ist das Leben erst lebenswert, wenn man möglichst jeden Tag den ganzen Tag nach Herzenslust töpfern, schmieden, schneidern, schreinern oder eben Schachteln machen kann. So einfach ist das. Je nach charakterlicher Disposition dauert es unterschiedlich lange, bis man das einsieht und sich ins Unvermeidliche findet.
Ist das Kunsthandwerk also nur ein Egotrip zur Selbstverwirklichung? Und wieso überhaupt etwas händisch herstellen? Heutzutage gibt es dazu keine Notwendigkeit mehr; alles kann sehr viel günstiger industriell hergestellt werden. Man kann wirklich alles fertig kaufen, manchmal sogar in sehr guter Qualität. Warum also sich die Mühe machen? Hier ist ein Versuch einer Antwort.
Eine industriell hergestellte Erdbeermarmelade aus dem Supermarkt ist immer gleich in Aussehen und Geschmack. Das ist auch so beabsichtigt. Aber eine Erdbeermarmelade aus dem Hofladen, die ein Mensch gekocht hat, ist anders und hat einen individuellen Charakter, wenn man so will. Selbst wenn zwei Landfrauen nach demselben Rezept Marmelade kochen, wird das Ergebnis nicht gleich ausfallen. Das liegt daran, dass die menschliche Hand im Spiel ist und sich dadurch immer etwas von der Persönlichkeit und den Gefühlen des dazugehörigen Menschen manifestiert. Man legt etwas hinein in sein Werk: die eigene Freude und Begeisterung, Gedanken, die man sich gemacht hat, eine menschliche Wärme. Vielleicht sogar eine künstlerische Aussage.
Diese Art der nonverbalen Kommunikation mit dem Nutzer ist nur bei handgemachten Dingen möglich. Den industriell hergestellten Produkten fehlt das und ich denke, dies fühlen die meisten Menschen auch instinktiv. Man versucht dann, diesen Mangel durch 'Erlebnisshopping' zu übertünchen. Das 'Erlebnis' ist aber schnell vorbei und man hält zu Hause ein beliebiges, lebloses Teil in Händen, an dem man schon wieder das Interesse verloren hat.
P.S.: Dieses Essay illustrieren Fotos vom vergangenen Freitag, die meine Werkbank zeigen. In Arbeit ist gerade ein Teil der neuen Kollektion, die ich in den kommenden Wochen vorstellen werde.
Ich freue mich über Kommentare an ateliergry@gmail.com.